Dr Janet Menage, MA, MB, ChB.
Beschneidung oder Zirkumzision ist ein Euphemismus für einen chirurgischen Eingriff zur genitalen Reduktion oder Genitalverstümmelung, ausgeführt aus verschiedenen Gründen durch medizinisch lizensierte oder auch unqualifizierte Personen. Es ist wichtig, dies korrekt zu definieren, so, wie es der Verstand interpretiert, mit oder ohne darübergelegte Leugnungen, Erklärungen und Intellektualisierungen.
Viele Beschneidungen werden an Kindern durchgeführt, die, per definitionem, nicht in der Lage sind, ähnlich wie Erwachsene ihre Zustimmung dazu zu geben. Sie können leicht gezwungen und manipuliert werden und haben generell wenig zu sagen darin, was mit ihren Körpern medizinisch und chirurgisch gemacht wird. Üblicherweise wird ihnen nicht gestattet, nein zu medizinischen Prozeduren zu sagen, weil die Meinung besteht, dass Eltern und Ärzte stets „das Beste“ wollen. Jedoch ist es unwahrscheinlich, dass ein Kind, das gefragt werden würde, ob es möchte, dass eine Person einen Teil seines Penis mit einem Messer abschneiden soll, dem zustimmen würde. Das wäre eine ganz normale psychische Reaktion auf die Androhung des Angriffs.
Wenn das natürliche Bestreben, sich selbst zu schützen, unwirksam gemacht wird, verliert die Betroffene Person die Überzeugung, Macht über ihr eigenes Schicksal zu besitzen und es entsteht ein Gefühl von Hilflosigkeit. Dies tritt etwa in Situationen wie Vergewaltigung, Folter oder sexuellem Missbrauch auf. In einer Situation, in der eine Person fühlt, dass sie dem physischen Angriff nicht ausweichen kann, „entflieht“ der Verstand in einem Prozess der „Loslösung“ – es ist so, als ob der Verstand den Körper zeitweise verlässt, so dass dieser den Angriff ertragen kann, ohne dass der Geist daran teilhaben muss. Nach der Rückkehr in den Körper kann der Geist dann in Flashbacks oder Albträumen die traumatischen Erinnerungen unbewusst wiederholen. Diese wiederkehrenden Erinnerungen können durch irgendeine Situation ausgelöst werden, die das Opfer an das ursprüngliche traumatische Ereignis erinnert. Ein Kind etwa, das eine schmerzhafte Prozedur in einem Krankenhaus erdulden musste, kann eine Phobie gegen Krankenhäuser, Ärzte oder Personen in weißen Kitteln entwickeln. Dieses Kind, oder der Erwachsene, zu dem es aufwächst, kann dann schwitzen, Herzklopfen oder Übelkeit verspüren, sich atemlos oder schwindlig fühlen oder in Panik versetzt werden bei dem Gedanken an die traumatische Situation und versucht, das in Zukunft zu vermeiden. Das kann zu Schwierigkeiten führen, wenn medizinischer Beistand bei einer folgenden Krankheit wirklich erforderlich ist.
Ein Mann, der mit drei Jahren einer Beschneidung unterzogen wurde, erinnerte sich lebhaft daran im Alter von dreißig Jahren, wie er ausgezogen wurde und wie sein Penis von einem maskierten Mann ohne seine Zustimmung manipuliert wurde. Das Kind bekam dabei eine Erektion, was ihm peinlich war, und dann, nach der Operation fand es sich wieder mit einem blutigen, schmerzhaften Penis, von dem die Vorhaut ohne seine Erlaubnis amputiert worden war. Dieses Ereignis veränderte sein Leben. Er war zornig darüber, dass das mit ihm gemacht worden war und gedemütigt durch seine Machtlosigkeit, sich selbst vor etwas zu schützen, was ihm wie sexuelle Manipulation erschien. Er kam sich sexuell missbraucht vor. In jedem anderen Zusammenhang außer dem medizinischen wäre die gleiche Ereignisabfolge offen für eine Interpretation für sexuellen Missbrauch. Für das Kind ist die psychische Wirkung die gleiche, ob es sich nun um illegalen Missbrauch oder eine legalisierte medizinische Handlung handelt.
Ein anderer Mann, der im Alter von sieben Jahren beschnitten worden war, hatte gefragt, was mit ihm im Krankenhaus gemacht wird. Ihm wurde gesagt, es wäre „nichts“ und er müsse sich nicht den Kopf darüber zerbrechen. Nach der Operation war er entsetzt darüber, dass ein Teil seines Penis fehlte und dass sein Vertrauen in die Worte seiner Eltern missbraucht worden war. Es war so, als ob seine Erfahrung, ein Teil seines Körpers zu verlieren, nicht einmal eine Erwähnung oder Erklärung wert war.
Der Prozess der psychischen Ablösung von einem Trauma und das spätere Wiedererleben erschreckender Bilder und die Vermeidung von Situationen, die das Trauma symbolisieren, wird im Englischen Post-traumatic Stress Disorder oder kurz PTSD genannt. Es ist eine Häufung von Symptomen, die bei Soldaten nach Kampfeinsätzen und Opfern extremen Terrors auftritt. Zudem zeigen sich diese Symptome bei
Frauen nach gynäkologischen Prozeduren und nach Beschneidungen an Kindern beider Geschlechter.
Einige der Faktoren, welche dazu beitragen, das Ereignis traumatisch zu machen, sind:
- Gefühle von Machtlosigkeit oder der Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper;
- Mangel an Information; der erkennbare Mangel an Sympathie durch den Untersuchenden;
- die Erfahrung von physischem Schmerz und das Fehlen einer Zustimmung zu der Operation.
Bei einem Kind, das einer Amputation eines Teils seines Körpers ausgesetzt wird, aus welchem Grund auch immer, werden wahrscheinlich alle diese Faktoren zutreffen. Wenn darüberhinaus das Kind erfahren muss, dass die Eltern es versäumt haben, es vor dem chirurgischen „Angriff“ zu schützen, was auch immer ihre Gründe sind, verliert es an Vertrauen in seine Sorgeberechtigten und möglicherweise in alle Autoritäten. Diese Schwierigkeit, anderen zu vertrauen, kann zur Vermeidung von Beziehungen, manchmal lebenslang, und zu Konflikten mit Autoritäten führen. Scham über den beschädigten Penis und Peinlichkeit darüber, verstümmelt zu sein, kann zur Vermeidung sexueller Beziehungen, ebenfalls manchmal lebenslang, führen.
Das Kind kann in Ignoranz seiner Beschneidung aufwachsen, insbesondere, wenn das kurz nach der Geburt gemacht wurde und falls seine Kameraden ebenfalls beschnitten sind. Allerdings, wenn eines Tages entdeckt wird, dass ein Teil seiner Genitalien ohne seine Erlaubnis entfernt wurde, oft ohne guten Grund, gibt es eine Verlustreaktion, die auf Gram hinausläft. Der Verlust kann minimalisiert und trivialisiert werden, um den Verstand nicht einem zu hohen psychischen Schmerz auszusetzen, denn der Schmerz eines Verlustes ist tief. Es kann zur Leugnung seiner Bedeutung kommen und, um das Bild der Eltern als „gut“ beizubehalten, kann dies als „gute Sache“, die Eltern mit ihren Kindern machen sollen, wenn sie für sie sorgen, idealisiert werden. Daher kommt die transgenerationelle Übertragung der Beschneidungspraxis vom Vater zum Sohn. Um diesen Verstümmelungs-Zyklus zu brechen, muss wenigstens eine Generation der wahren Natur dieser Aktivität ins Gesicht sehen. Dies erfordert viel Mut, da es Gefühle von Verrat und Verlassenheit durch die eigenen Eltern ins Spiel bringt; dass sie also, anstatt seinen Körper vor Schaden zu schützen, ihr Kind in die Hände eines Fremden gegeben haben, um einen Teil seines Körpers zu entfernen.
Die Intellektualisierung eines schädlichen Aktes ist ein Weg „schlecht“ in „gut“ zu verwandeln – der Denkprozess könnte wie folgt ablaufen:
„Meine Eltern ließen einen Teil meines Körpers abschneiden und davon abgesehen, dass ich das nicht mag, sind meine Eltern gut – also war das Abschneiden eines Teils meines Körpers gut – darum, um selbst ein guter Vater zu sein, muss ich das Selbe mit meinem Sohn machen…“.
Und so setzt sich der Teufelskreis weiter fort. Ähnlich innerhalb der medizinischen Profession:
„Ich wurde beschnitten / habe Beschneidungen durchgeführt – es hat mir nicht geschadet / ich habe meinen Patienten nicht geschadet – darum ist Beschneidung trivial, harmlos und notwendig…“.
Wenn der Arzt versucht, zu leugnen, dass seine eigene Beschneidung ihm geschadet hat, kann er unter dem psychischen Zwang stehen, den Akt an seinen Patienten zu wiederholen, um zu „beweisen“, dass Beschneidung harmlos ist. Und darüber hinaus, wenn ein Beschneidungsopfer selbst zum Beschneider wird, ist es nicht länger machtlos gegen Angriffe – er ist jetzt selbst der mächtige Angreifer, damit einen Teil der Furcht vor der Wiederholung seines eigenen Traumas kompensierend.
Wir alle versuchen, traumatische Situationen in gewisser Weise wieder herbeizuführen, um die originale Angst zu überwinden: geschlagene Frauen heiraten gewalttätige Ehemänner, die Kinder von Alkoholikern können Trinker heiraten und Vorhautamputierte werden manchmal zwanghafte Beschneider. Freud nannte das „den Zwang zur Wiederholung“. Alice Miller beschrieb, wie Menschen, die von der ursprünglichen Ursache ihres Schmerzes abgelöst sind und dessen Bedeutung leugnen, oftmals Ausdruck in destruktiven Handlungen gegen andere finden.
Um Verluste irgendwelcher Art zu heilen und fortgesetzten Schaden an der jeweils nächsten Generation zu verhüten, ist es darum psychologisch notwerndig, den durch Beschneidung verursachten Schaden einzugestehen dem dadurch verursachten Schmerz ins Auge zu sehen. Das bringt einen langwierigen und schmerzhaften Prozess mit sich, der anfängliche Leugnung, Zorn, Schuldgefühle, Besorgnis, Suche, Trauer und Depression und schließlich Akzeptieren und neues Investieren von Energie in die Zukunft beinhaltet.
Das Allerwichtigste aber ist, sich in die Welt des Kindes hineinzuversetzen und Beschneidung als das zu sehen, was es aus der Sicht des Kindes ist. Es ist ein gewaltsamer Raub eines gehüteten Körperteils und niemand außer dem Betroffenen selbst, wenn er erwachsen ist, kann legitim die Erlaubnis zu seiner Entfernung geben.
Bibliographie und nützlicher Lesestoff:
- Freud,S.(1991) Introductory Lectures on Psychoanalysis; Penguin Books.
- Goldman,R.(1997) Circumcision: The Hidden Trauma; Vanguard Publications.
- Miller,A. (1990) The Untouched Key: Tracing Childhood Trauma in Creativity and Destructiveness; Virago Press.
- Miller,A.(1990) Banished Knowledge: Facing Childhood Injuries; Virago Press.
- Murray-Parkes,Colin: Bereavement; Tavistock Press
Originaltext: Circumcision and psychological harm